Montag, 5. Juni 2017

die Hessen, die Oranje und der Keufelskopf ...

was haben die gemeinsam?

Das niederländische Königsgeschlecht geht auf den Ursprung in Oranien-Nassau zurück und auch die älteste Nationalhymne, je nach Definition, der Welt, bezieht sich auf die Herkunft aus dem Hause Oranien-Nassau, welches ja nun mal in Hessen liegt.




Nach 25 Jahren sind auch wir in Hessen angekommen, als Exil-Dresdner so zu sagen und seit der Geburt unseres Sohnes sind wir Holland-Liebhaber.


Fahren wir seit nunmehr 19 Jahren dahin und genießen es. Genießen sie. Sie sind so entspannt und ein bisschen verrück. Liebenswert verrückt.

Was macht man, wenn man ein altes Bettgestell hat? Man bastelt 4 Rädchen drunter und veranstaltet ein Bettenrennen über die Hauptstraße in Petten/Nordholland, zum Beispiel.
Oder, wenn im Winter die Grachten zugefroren sind, werden die Schlittschuhe angezogen und meilenweit darauf gelaufen.

Ein bisschen verrückt eben. Liebenswert verrückt.


Diese Verrücktheit hat Eric mit nach Deutschland in den Hunsrück 

gebracht, wie er auf seiner Web-Seite auch gleich zu verstehen gibt

"Gar nicht verrückt, ist auch nicht normal." (Christian Hottas)


Ja. Und wenn ich das gewusst hätte. Ja dann ...


Dann hätte ich vielleicht nicht so schnell auf den Anmeldeknopf gedrückt, sondern hätte hätte hätte ... Fahrradkette ;-(


Der Treppenmarathon war doch schon schwer genug und mit 10500 pos Höhenmeter ne Nummer für sich.

Nur das, was am Keufelskopf passieren sollte, würde alles bisher erlebte in den Schatten stellen.

Man kann immer einen weiteren Superlativ finden. Höher, schneller, weiter. Aber das ist schon lange nicht mehr mein Ziel.

Meine Ziele sind mehr der Genuss und das Erlebnis. Am wohlsten fühle ich mich im Wald, am Berg, in der Natur.
Nun ist aber Berg nicht gleich Berg.

Das alpine Gelände ist für mich ganz weit weg und nicht das, was ich möchte. Mein Schwerpunkt ist das Mittelgebirge, das Sauerland oder eben der Hunsrück.

Letztes Jahr der Ultra-Trail an der Saarschleife war sehr schön. Tolle Aussichten und landschaftlich ein Traum. Warum also dann nicht in die Nachbarschaft und da ein Läufchen wagen?

Also Anmeldung gedrückt und im Plan fixiert.

Den Track hat uns Eric mit der letzten Mail zugesandt und da hätte ich schon stutzig werden müssen, hab das aber ganz entspannt hingenommen. Tz, 3600 Höhenmeter. Trainiert habe ich dafür. Aber ...



Die letzte Woche der Vorbereitung war angebrochen und mit 2 kleinen entspannten Läufchen stand am Freitag nach getaner Arbeit das Herrichten der Schlafstelle an.




Den Space Shuttle gepackt, das Bettchen gebaut und vor der Abfahrt das übliche Carbo-Loading: 
Vollkornnudeln mit Gemüse standen auf dem Speiseplan und nach erfolgreicher Vernichtung machte ich mich auf den 3 stündigen Anreiseweg.


Die Baustellen und Autobahnerneuerungen machen die Fahrt um Frankfurt herum etwas anstrengend, aber ich habe es ohne verfahren geschafft und bin 23:00 Uhr in Reichweiler gelandet.


Dank der hervorragenden Orga, die sich bis zum Schluss des Events durchzog, war der Parkplatz schnell gefunden und der Stellplatz bezogen.

Mit den Gedanken an die Unterbrechung bei Rock am Ring und meinem GuteNachtBier schlief ich ein.



Die Gespräche der Einweiser weckten mich und um mich herum war der Platz immer noch leer.

Nach der Katzenwäsche und meinem Power-Müsli aus Chia, Obst und Haferflocken ging es zur Startnummerausgabe.

Hier sollte die vorgeschriebene Mitnahme nach Packliste und Herausgabe der Startnummer nur nach Vorlage des Ausweises erfolgen.

Zurück ans Auto, Beutelchen mit dem Finisher-Shirt wegbringen und wieder zurück :-(

Für 3,-€ Kaffee und Brötchen als letzte Stärkung, denn ohne Kaffee geht nichts.

Die Eigenversorgung in die bereitgestellten Kisten verteilt, ein paar nette Bekannte getroffen und dann war auch schon das Briefing fällig.


© Gabi Gründling
Kurz und knapp, mit hinweisen von Eric, wo ich das erste Mal mitbekam, das er Niederländer ist, und schon fiel der Startschuss.

Wie üblich bei den nun schon zahlreich absolvierten Utra-Teilnahmen, setzte sich das Feld sehr bedächtig in Marsch, denn sofort ging es bergauf, was sich bis zum Ziel in 85 km auch nicht mehr nennenswert ändern sollte.


Die Ausschreibung bereitete schon mal gedanklich auf 2% Asphalt vor, was ich ich sehr gut fand. Der Anteil von Single-Trails wurde mit über 60% ausgewiesen. Nur die Aussage eines Finishers aus 2013, "Ich kann keine Single-Trail mehr sehen.", konnte ich nicht nachvollziehen. Noch nicht. Aber ...


Die ersten 20 km verflogen regelrecht. Ich war in meinem Element. Trails vom feinsten und Single traf es auch. Stellenweise zu genau :-(

Einige der Trails waren wohl für Mountenbiker angelegt, dem Kurvenausbau nach zu urteilen und auch wir nutzen diese.

Die Ausschreibung wies ausdrücklich auf Semi-Autonom hin und es werde keine Eigenversorgung mitgenommen, die auch Nahrung beinhaltete, diese sei selbst zu schleppen.
Schleppen wollte ich nichts und so beschrenkte ich mich auf 2 Liter Iso in der Trinkblase, weitere 1,5 Liter deponierte ich bei VP39 und bei km71 sollten eine Cola und ein Espresso auf mich warten.
3 Tütchen meiner Nussmischung á 100 g, was in etwa 500 kcal entsprach und 2 Regel je 550 kcal waren im Rucksack verpackt. Ebenso eine Windjacke (wie überflüssig), mein Salomon-Faltbecher und das Erste-Hilfe-Paket inkl. Zeckenzange und Taschenmesser, weil ich auf die vom Veranstalter empfohlene lange Hose verzichtete.

Der Anfang ging aber noch relativ anständig. Auf einer stillgelegten Bahntrasse ging der Weg auf dem Jacobsweg entlang und ich musste an Jörg und Carmen denken, die diesen Weg gerade erst bis Santiago de Compostela gegangen sind.




Bei km24 der erste VP. Wasser. Nur Wasser. Also wuchs die Freude auf meine Cola bereits hier. Und das schon nach fast 3 Stunden. Oh man. Wenn ich gewusst hätte, das noch 9 vor mir liegen sollten :-(

Nach kurzer Rast und ein paar Becher des angebotenen Wassers mit ein paar Bissen in den Riegel machte ich mich wieder auf den Weg.


Weg? Welchen Weg? Manchmal konnte man einen Weg in dem Sinne des Wortes nur erahnen.






Aber noch war meine Stimmung gut und ich zückte hin und wieder mein Handy, um die Landschaft einzufangen, oder ein paar Läufer in meiner Nähe.






Es ging durch alte Steinbrüche, in denen in längst vergangenen Tagen nahe Freisen Achat abgebaut wurde.


Doch dann lies ein einziges Mal die Aufmerksamkeit zu Wünschen übrig und schwupp ...

Lag der Gnü mal wieder auf 179 cm des Weges. Das gerade verheilte Knie wieder blutig und, was viel schlimmer war, beim Sturz knallte mein rechtes Knie in die Wade des linken Beines. Oh ha. Das war ein Schmerz, der sich gewaschen hatte. Ein echt besch... Krampf, den ich aber durch ein kleines Dehnen und massieren weg bekam. Zum Glück!

Km39 und fast Halbzeit und den gleichnamigen Berg des Rennens, den Großen Keufelskopf erreicht.




Den Trinkrucksack wieder mit dem deponierten Iso aufgefüllt, kleiner Plausch mit den lieben Helfern, ein paar Happen meiner Nussmischung versucht zu verdrücken, aber irgendwie nichts rein bekommen. Es war ein einziger dicker Klumpen und selbst das runterspülen half nicht.

Also Tütchen zurück in den Rucksack, Nachricht an die Lieben zu Hause und weiter.



Unfassbar, aber inzwischen war ich wirklich schon über 5 Stunden unterwegs und meine leise Hoffnung, das Ding in 10 Stunden im Sack zu haben, zerschlug sich.

Wie sich auch meine Motivation zerschlug.

Jupp. Ich hatte keine Lust mehr. Mir ging es inzwischen wie dem Finisher aus 2013: ich kann keine Trails mehr sehen. Ich wollte nicht mehr. Krafttechnisch kein Thema, aber der Kopf hat zugemacht.


Diese unglaubliche Schwüle, die selbst im Wald unerträglich schien, die vergebliche Suche nach einem Bach, der erst viel später zu meiner Rettung wurde, das gerissene Schnürband, die zum xten Mal ausgeschütteten Schuhe ...


Lass es vorbei gehen, war mein einziger Wunsch. Doch aufgeben? Nein. Nie und nimmer. Ich war gesund, ich hatte Kraft und ich wollte diese Sche... Medaille.

Ich fahre doch keine 6 Stunden Auto, um ohne Medaille nach Hause zu kommen? Nein. Nicht der Gnü.
Also Wandertag!

Yes. Wer mich kennt, weiß, dass das lange dauert, bis ich soweit bin. Aber am 03.06. war ich nach 5 Stunden soweit und dachte an die Worte von Max: Wenn du nicht mehr laufen kann, gehe. Wenn du nicht mehr gehen kannst, krieche und dann krieche bis es wieder geht.

Gekrochen bin ich zwar nicht, aber Kilometer um Kilometer gegangen.

Ein paar Läufer sammelten mich ein und wir legten den einen oder anderen km gemeinsam zurück, bis man sich wieder voneinander trennte. Die jungen Wilden gaben Gas.

Irgendwo verlief ich mich und auch die mir folgenden hatten wohl einen Wegweiser übersehen. So suchten wir gemeinsam den Weg und der aufs Handy übertragene Track in Locus brachten uns wieder auf den Pfad zurück. 
Selbst mein Wanderschritt schien einigen noch zu schnell und so war ich wieder alleine unterwegs.

VP56. Ich hatte gedacht auch da etwas deponiert zu haben. Hatte ich aber doch nicht.

© Gabi Gründling
Ich glaube mein Gesicht spricht bände ...
Also weiter und dem netten Kollegen, der mir einen Schluck seiner Cola angeboten hat, dankend abgelehnt. Ist ja seine.

Jede Ablenkung in der Landschaft nahm ich dankend an und hielt sie im Bild fest.


sogar Treppen
Die, die mich gerade überholten jungen Wilden, hatte ich bei km 71 wieder ein und ich war happy endlich meinen Espresso und die Cola zu bekommen. Ich bin kein Fan von Cola, aber allein der Gedanke daran kann dir das Leben retten :-)

Espresso in den Kopf, Trinkblase zum letzen Mal aufgefüllt und Cola in die Hand. Die gibt es unterwegs und in Gedanken hieß es: ihr bleibt hinter mir!


Es wirkt echt Wunder, so ein Zuckerschock.
Der Gnü lief wieder :-)
Wenigstens ein paar Meter, wenn auch keine km, aber er lief. Hin und wieder hörte ich die Verfolger, aber es spornte mich an. Ich lief.


Die trüben Gedanken waren mit der Cola ausgeschieden und ich lief. Vorbei an einem Steinbruch, die letzten 2 Rampen, die wieder nur mit Hilfe eines Seils zu bewältigen waren. Noch ein Kontrollpunkt. Liebe Worte und weiter.
Vorbei an einer Hütte, in der ein paar Jugendliche grillten und feierten, ließ das Nahen des Ziel ahnen.

Aber wer die Holländer kennt ...
Es wäre ja zu einfach, den direkten Weg ins Ziel zu nehmen. Nein! Man kann ja noch eine "kleine" Runde ums Dorf laufen :-(

Noch mal hoch, noch mal links, wieder rechts, wieder bergab, wieder berghoch. Dann die bereits von anderen angekündigte "Beschwerde-Box".

:-))
Diese Holländer ...

Dann der Friedhof und wieder einen den ich hinter mir lassen konnte. Das hieß 5 eingesammelt, was mich mental noch mehr aufbaute.
Vergessen die Blase an der linken Ferse, die mich bereits seit km 45 zum Balettläufer hat werden lassen.

Vergessen der Schweiß, der seit dem Start in den Augen brannte.
Nur noch den Rucksack abwerfen, Schuhe aus und unter eine Dusche ...

Dann wirklich. Der letze Berg, noch 400 Meter, die mir sagten "gleich". 200. Ich sah den Zielbogen. Ich sah Claudi und Kuno sitzen. Ich hörte die Zuscheuer den vor mir einlaufenden klatschend begrüßen. 100. Ich wurde gesichtet. Es wurde geklatscht. Claudi kam mir ein Stück entgegen. Ich hatte es tatsächlich hinter mir.
Stopptaste an der Suunto gedrückt und ich von Claudi, hängte mir Eric, dieser verrückte Hund Niederländer, die in der Tat schwer erkämpfte aber mit Recht verdiente Medaille um den verschwitzen Hals.


Meiner Anmerkung zu seiner Verrücktheit widersprach er nicht, sonder lachte sehr. Ob ich denn nächstes Jahr zum 10. wieder dabei sei verneinte ich, weil ich bereits ein Date habe.
Erst in Bödefeld und dann an der Ruhrquelle :-)


Da ist der Lohn des Kampfes:

12:26:33 h
85 km
3600 Höhenmeter
Platz 21 gesamt
Platz 5 AK45

Gar nicht so schlecht, wenn ich an die zurückliegenden Stunden denke. Als ich schon fast nicht mehr daran glaubte, jemals anzukommen.

Allerdings: 4 Stunden nach dem Sieger. Irre. Alle irgendwie vollkommen verrückt :-)

Ich genoss das erste von 2 Weizen und so wie die Flasche auf war, war der Inhalt verdunsten.
Schnell zum Space Shuttle und unter die Dusche. Ich wollte einfach nur noch aus den nassen Klamotten.
Der vor mir eingelaufene Peter war so nett, mich mit zur Dusche in seinem Wagen zu nehmen und nach 30 min war der Gnü wieder ein sauberes Schweinchen.

Das letzte Mal einen Berg hoch (in Badelatschen) am heutigen Tag, die Tasche in das Auto gebracht, zum letzen Mal an das DGH und meine verdiente Lyonerpfanne mit dem 2. Weizen vernichtet.

Noch ein paar Worte mit Claudi und Kuno gewechselt, sich alles Gute für die nächsten Events gewünscht und ab in den Space Shuttle, auf den Heimweg.

Nicht ohne einen Entschluss gefasst zu haben: der Thüringen Ultra fällt aus!
Jawoll. Mein Kopf ist leer und ich muss erst einmal die Gedanken neu sortieren.

Juni und Juli werde ich das Laufen stark reduzieren und stattdessen ein bisschen durch Nordhessen (oder darüber hinaus) kurbeln.

Tja, so ist das. Wenn du denkst es geht noch mehr, kommt irgendwo ein Dämpfer her :-(

Wer weiß, wozu es gut ist. Aber was zählt ist:
Wer sich bewegt, bewegt was!


Ud wenn es die Bilder im Kopf sind. 

Euch sage ich ganz lieben Dank für das Lesen meines Blog, freue mich, wenn ihr mir einen Kommentar oder Kritik hinterlasst und verbleibe mit sportlichen Grüßen

Euer Gnü aus Zü

2 Kommentare:

  1. Lieber Peter, du bist nicht ausgestiegen, obwohl es dir danach war - nur das zählt, auch wenn man schwächelt und der Kopf nicht mehr will, weiterzumachen - YES - hätte ich auch nicht anders von dir erwartet - gekämpft, durchgehalten und dafür das beste, unbezahlbare Gefühl, angekommen zu sein, was gibt es Schöneres ?

    Hatte denselben Text schon bei Google kommentiert, du hast aber nicht reagiert !

    Liebe Ostseegrüße

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  2. Liebe Margitta,
    Ja, es ist schon sehr komisch, was uns der Kopf manchmal vorgaukelt.
    Aber das Gefühl, diese Medaille umgehangen zu bekommen, ist unbeschreiblich.
    Es ist und bleibt ja, auch ohne Wette, ein Kampf, wie das Wort schon sagt. 😉

    Oder wie ich so gern sage: aufgeben kannst du bei der Post 😊

    Bitte entschuldige den verspäteten Kommentar bei g+, aber ich war etwas unpässlich 🙄

    Liebe Grüße und bleib gesund
    Peter

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